Streß und Streßbewältigung bei Suchhundeführern

Wie bei anderen Rettungsdiensten auch sind Suchhundeführer/innen in Einsatz extremen Stressituationen ausgesetzt, die verarbeitet werden müssen, damit es nicht zu weiteren Schädigungen führt und die Einsatzkräfte auch für zukünftige Einsätze noch zur Verfügung stehen können.

Im Gegensatz zu anderen Rettungsdiensten ist die Verarbeitung von Stress jedoch bei Suchhundeführern deshalb noch unter einem besondern Aspekt zu sehen, weil dieser Stress sich extrem auf die Zusammenarbeit zwischen Hund und Hundeführer auswirkt. Während Stressituationen und deren Auswirkungen zwischenmenschlich verstanden und verarbeitet werden können, bedingt die gleiche Situation in Bezug auf der Verständigung zwischen Mensch und Hund einen weiteren Stressfaktor, da der Hundeführer hierbei oft Stress nicht abbauen kann sondern sich dieser meist noch weiter verstärkt. Diese Spirale kann bis zum vollständigen Ausfall des Hundes und somit auch des Hundeführers führen.

Obwohl bei anderen Organisationen das Thema Stressbewältigung in letzter Zeit einen breiteren Raum einnimmt, wird dieses Thema im Rettungshundebereich noch recht stiefmütterlich behandelt.

Mit diesem Artikel soll nun zumindest versucht werden Entstehung, Auswirkung und Umgang mit Stress darzustellen. Es wird dabei recht deutlich werden, daß sich das Verhalten von Hundeführer und Hund unter Stress ziemlich ähnlich ist.


Wie entsteht Stress ?

Grundsätzlich gesagt ist Stress für die Organismus nichts außergewöhnliches, für das Überleben notwendig um sich Extremsituationen anpassen zu können und durchaus positiv. Die Folge des Stresses ist jedoch immer eine körperliche Erschöpfung.

Es ist jedoch zu unterscheiden zwischen positiv besetzte Belastungen, welche wesentlich besser und schneller verarbeitet werden, als negativ empfundene Belastungen (z.B. Zeitdruck im Einsatz). Die im Einsatz entstehenden seelischen Belastungen werden jedoch von den Suchhundeführern individuell sehr unterschiedlich empfunden. Dies ist abhängig von der allgemeinen Psyche, der momentanen Verfassung des Hundeführers und der Verfassung seines Hundes, sowie der gefordertern speziellen Aufgabe für das Team. So kann ein und die selbe Situation bei dem einen Hundeführer extremen Stress auslösen, während sie für einen anderen durchaus als normal empfunden wird.

Auf Grund dessen ist es bereits in der Ausbildung eminent wichtig in diesem Bereich zielgerichtet auszubilden. Suchhundeführer sollten gezielt immer wieder einmal Stressituationen ausgesetzt werden, um deren Verhalten erkennen zu können. Der Einsatzleitung ist es somit bedeutend einfacher die Teams verantwortungsvoll einsetzen zu können. In wieweit Suchhundeführer auf Stress reagieren ist im "normalen Übungsbetrieb" oft nicht einzuschätzen.

Sogenannte Stressoren wie Alarmierung, Hektik, Anfahrt, mangelnde Informationen etc. lösen im Körper eine Alarmreaktion aus auf die der Körper versucht sich einzustellen. Diese Bewältigungsversuche erfolgen dabei sowohl im psychischen als auch im physischen Bereich und wird über vegetative und hormonelle Prozesse gesteuert (Adrenalin- und Noradrenalinausschüttung).

Die Reaktion auf solche Belastungen wird als Stress bezeichnet. Wie der jeweilige Hundeführer mit diesem Stress umgeht und ihn bewältigen kann, hängt auch von seinen individuellen Erfahrungen und Lösungsstraegien ab. Abhängig davon wie der Hundeführer gelernt hat diese zu bewältigen, ist der auf den Stress folgende Erschöpfungszustand.

Im Einsatz bewirkt ein mäßiger Streß (Eustreß), daß das Team besser und effizienter arbeiten kann als sonst. Übermäßiger Streß (Distreß) bewirkt, daß die Effizienz abnimmt und die Fehlerrate deutlich ansteigt, extremer Streß kann sogar bis zur völligen Aktions- und Reaktionsunfähigkeit führen. Vorgenanntes gilt selbstverständlich sowohl für den Hundeführer als auch für seinen Hund !

Wir sollten uns bewußt sein, daß Stress auf unterschiedliche Wegen entstehen kann. Zudem stehen diese unterschiedlichen Streßformen nicht isoliert nebeneinander, sondern summieren sich. Wenn also bereits mit einem Großteil angesammelten Stresses belastet ist, wird er nur noch entsprechend wenig emotionalen oder Einsatzstreß vertragen. Umgekehrt wird jemand, der relativ ausgelichen ist  besonders gut in der Lage sein, emotionalen oder Einsatzstreß auszuhalten.

Angesammelter Stress

Darunter  versteht man die vielen alltäglichen Belastungen, die sich im beruflichen und privaten Bereich ansammeln und  sich zu einer großen Belastung anhäufen können.

Einsatzstress

Stress entsteht bei jedem Einsatz und ist wie oben beschreiben durchaus sinnvoll, kann aber auch hemmend wirken oder zur Nichteinsatzfähigkeit des Teams führen. Suchhundeführer sind hierbei bedeutend mehr Stressfaktoren ausgesetzt als Mitglieder anderer Rettungsdienste. Dies liegt einerseits in ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit und den trotzdem an sie gestellten proffessionellen Erwartungen, als auch an den in der Mehrzahl negativ verlaufenden Einsätzen auf Grund der meist zu späten Alarmierung.

Gerade beim Einsatz wirken viele Faktoren, welche den Einsatzstress verstärken:

  • ständige Bereitschaft der Suchhundeführer rund um die Uhr das ganze Jahr über
  • ständig wechselnde Einsatzsituationen
  • Ungewißheit auf Grund extrem lückenhafter Einsatzmeldungen und dem daraus resultierendem Informationsdefizit
  • ständig unklare Suchaufgaben, Suchgebiete und den daraus resultierenden bisherigen negativen Erfahrungen
  • Frustrationen entsprechend der Dauer des Einsatzes ohne Sucherfolg mit daraus resultierendem Ohnmachts- und Hilfslosigkeitsgefühlen
  • Zeitdruck bereits beginnend bei der Anfahrt zum Einsatzort
  • ständiger Zeitdruck während der Suche
  • Zwangspausen, mit ständiger Einsatzbereitschaft
  • ständig wechselnde Einsatzaufgaben auf Grund der Abhängigkeit von der TEL und deren mangelndem Wissen um den effektiven Einsatz von Suchhunden
  • Anforderung die Einsatzsituation mit wenigen Teams bewältigen zu müssen
  • Abhängigkeit vom Hund und der ständigen eigenen Stressbewältigung um die Kommunikation mit dem Hund aufrecht erhalten zu können
  • Kommunikationsprobleme mit dem Hund
  • ständiger Kraftbedarf auf Grund der Geländesituationen
  • Erschwerung des Einsatzes durch Witterungsbedingungen, insbesondere da Einsätze oft bei Dunkelheit oder schlechtem Wetter durchgeführt werden müssen, die zudem eine weitere Gefährdung des Opfers darstellen
  • psychische Belastung durch die Erwartungshaltung Helfen wollen und sollen zu können
  • Verantwortungsdruck gegenüber dem Hund, den anderen Teams und der TEL. Zudem hängen weitere Einsatzaktivitäten oft vom Ergebnis der Arbeit des einzelnen Teams ab
  • Suchhundeführer müssen viele Fachgebiete beherrschen, die jedoch auf Grund fehlender Einsatzerfahrungen meist nur theoretisch vorhanden sind und deren Umsetzung im Einsatz Stress erzeigen kann
  • Suchhundeführer arbeiten immer in der Öffentlichkeit und werden von der Öffentlichkeit auch über ihren Hund beurteilt. Zuschauer sind dabei meist selber betroffen, stehen unter enormer psychischer Anspannung und nehmen die Realität entsprechend verzerrt wahr
  • Gefahren an der Einsatzstelle mit denen Suchhundeführer bei jedem Einsatz konfrontiert sind und die sie nicht nur für sich selber sondern auch für den Hunde beurteilen können müssen
  • Infektionen bei der Erstversorgung Vermisster
  • traumatische Erfahrungen insbesondere beim Auffinden von Toten oder Verstümmelten
  • hierarchische Konflikte in den Teams oder der Gruppe
  • mangelnde Mitsprachemöglichkeiten gegenüber der TEL

Emotionaler Stress

Dieser Stress entsteht wenn man an einem Einsatz persönlich betroffen ist, weil sich z.B. Freunde oder Bekannte unter den Opfern befinden könnten oder weil bestimmte Aspekte des Einsatzes uns gefühlsmäßig besonders treffen. Dies ist bei Suchhundeführen in der Regel immer so, da sie sich der Gefährdung ihres Hundes ständig bewußt sind.

Untersuchungen bei anderen Rettungsdiensten haben ergeben, daß hauptamtliche Einsatzkräfte psychische Belastungen am stärksten in den ersten 5 Dienstjahren wahrnehmen, dann ca. 5 Jahre weniger stark, in höheren Dienstjahren wieder vermehrt. Bei ehrenamtlichen Einsatzkräften dürfte es eine ähnliche Verteilung geben.

Stress kann, außer an den Belastungen, vor allem an typischen "Streßsymptomen” erkannt werden:

vegetative Symtome

Schwitzen, Blutdruckanstieg, Pulsanstieg, Herzrasen, Übelkeit,

muskuläre Symtome

Muskelverspannungen, Zittern , Bewegungsstörungen, Störungen des Gleichgewichtsgefühls, Kopfschmerzen

kognitive Symtome

Gedankenblockierungen, Konzentrationsschwierigkeiten, gedankliche Rückblenden

emotionale Symtome

Angstgefühle, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen, Alpträume, Schuldgefühle, Anteilsnahmelosigkeit, Rückzug aus sozialen Beziehungen, übertriebene Gefühlsäußerungen, extreme Schweigsamkeit, Unausgeglichenheit


Vor derartigen physischen oder psychischen Einbrüchen kommt es jedoch zu folgenden typischen Warnsymtomen, die wir kennen sollten um frühzeitig genug reagieren zu können. Sie sind durchaus mit Übersprungshandlungen beim Hund vergleichbar:

  • Überaktivität, mangelnde Konzentration und daraus resultierend unüberlegtes Handeln, hektische Bewegungen, hektisches Sprechen, übermäßiges Rauchen, Haare zupfen, Kratzen etc.
  • Apathie durch den Rückzug aus der Situation, Vermeidungsstrategieen, Spannungsabbau durch entlastende Reaktionen wie übermäßiges Rauchen, Haare zupfen, an den Haaren oder der Kleidung spielen etc.
  • Zunahme von Fehlern auf Grund psychischer Erschöpfung, da der Suchhundeführer den Überblick verliert, eingleisig handelt und Alternativen nicht mehr wahrnimmt, Risiken nicht mehr objektiv beurteilen kann:

Nach einem Einsatz verschwinden die Streßreaktionen meistens sofort oder nach einigen Tagen, wenn die Suchhundefüher Gelegenheit haben, den Streß abzubauen. Halten die die Streßreaktionen jedoch länger an, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.


Einige Ergebnisse aus Umfragen im Rettungsdienst:

54,8 % kann nach Dienstende nicht abschalten Gefahr: Belastung des persönlichen Umfelds

58,3 % empfinde Abneigung gegen den Patienten Gefahr: Dehumanisierung der Patienten (Vorfeld des Ausbrennens)

62,3 % mache bissige, spöttische Bemerkungen Entlastung oder Hilflosigkeit? / Entwicklung eigener Sprache

71,2 % schalten bei Notfällen gefühlsmäßig ab Gefahr: unangemessenes, gefühlloses Verhalten

60,7 % glauben, in Todesangst schwebenden Patienten nicht genug beistehen zu können,

98 % wünschen sich, besser mit Patienten umgehen zu können

96,8 % wünschen sich, gelegentlich mit einer erfahrenen Person sprechen zu können.

Es besteht in der Regel bei den Einsatzkräften ein erhebliches Interesse daran, Abbaumöglichkeiten von Streß zu lernen.



Möglichkeiten Stress zu bewältigen


Um gezielt gegen Stressymptome vorgehen zu können sollten wir Einsätze in drei Phasen unterteilen

  • Vorbereitung und Ausbildung
  • Einsatz
  • Nachbehandlung von Einsatzerfahrungen

 

Vorfeld und Ausbildung

Um Stress möglichst zu mindern sollten folgende Grundvoraussetzungen bei jedem Suchhundeführer entsprechend vorhanden und in der Ausbildung weiter gefördert werden:

  • Ausgleichen des sozialen Umfeldes innerhalb der Familie, bei der Arbeit und nicht zu vergessen innerhalb der Staffel
  • ständig wiederholende Abläufe bei Einsätzen vorbereiten (Einsatzgepäck nach jedem Üben / Einsatz auf Vollständigkeit überprüfen und parat liegen haben, Ersatzkanister gefüllt haben, Abfrage der notwendigen Informationen bei der Alarmierung gezielt planen und durchführen)
  • sichere fachliche Ausbildung in allen im Einsatz geforderten Bereichen
  • routinierter Umgang mit dem Erlernten
  • einsatzorientierte Ausbildung auf Grund der Einsatzerfahrungen
  • einsatzorientierte Ausbildung durch das bewußte Stellen von Einsatzsituationen entsprechend den Fähigkeiten des Teams
  • psychische und physische Fitness des Teams durch ausgeglichene Lebensführung
  • Erlernen von Stressbewältigungstechniken

Einsatzvorbereitungen

  • gedankliche Auseinandersetzung mit den bevorstehenden Aufgaben
  • qualifizierte ruhige Informationen durch den Einsatzleiter und gezieltes Nachfragen bei mangelder Information
  • dem jeweiligen Team entsprechende Aufgabenzuweisung
  • Aufteilung der Gruppen in gleich stark belastbare Gruppen und damit verbundene Ausgleichung und Einbindung schächerer Teams
  • Zusammenarbeit in der "Familie" Staffel mit ständiger Orientierung nach dem schwächsten Glied der Kette

Einsatz

  • ruhiges aufbauendes Leiten des Einsatzes mit klaren Aufgabendefinitionen
  • erlerntes systematisches zielorientiertes Vorgehen des Einzelnen
  • Entscheidungen überdenken und notfalls korrigieren
  • ständiger Kontakt zu den anderen ohne Kommunikationsschwierigkeiten
  • gegenseitige Unterstützung
  • bewußtes Handeln und gezielte Selbstbestätigung nach erreichten Teilabschnitten mit positiver Autosuggestion
  • bewußter zielorientierter Umgang mit dem Hund
  • Pausen mit bewußten Muskelentspannungen (anziehen, einmal anspannen und nach 2 sec. wieder lösen), Atemübungen (einatmen, 5 sec. anhalten und tief ausatmen)
  • Verpflegungspausen

Einsatznachbesprechung

  • Essen, Trinken, Rauchen je nach Bedarf ermöglichen
  • Nachbesprechungen sind keine psychatrische Sitzung sondern dienen nur dem Spannungsabbau
  • immer gleiche Abläufe nach jedem Einsatz erleichtern die Kommunikation
  • ruhige und konstruktive Gespräche über den Einsatzablauf mit entprechender Unterstützung der Teams
  • belastende Erlebnisse einzelner erzählen lassen ohne jegliche Bewertung durch andere
  • bei starker psychischer Belastung für den Rücktransport sorgen
  • ev. auf weitere Möglichkeiten persönlicher Gespräche mit professionellen Beratern hinweisen
  • intensiven körperlichen Kontakt des Einzelnen zu seinem Hund ohne jegliche Störungen ermöglichen

Nachträgliche Einsatzaufarbeitung

  • erlebnisorientierte Aussprache mit Familienmitgliedern
  • nochmalige Einsatznachbesprechung beim nächsten Üben
  • Erfahrungen dieses Einsatzes in Bezug auf die jeweilige Stressbelastungsfähigkeit des Einzelnen durch den Einsatzleiter in zukünftige Einsätze und Übungen integrieren

 

 

 

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